Recital in Marburg, Germany

2006-04-03 / Oberhessische Presse / Helmut Rottmann

Ohrenschmaus

640 Besucher in der Stadthalle feiern Pianistin Angela Hewitt

Marburg: Selbst im Mozartjahr kann ein Klavierabend allein mit Werken Bachs beglücken: 640 Besucher waren von Angela Hewitts Spiel auf dem Steinway-D-Flügel des Konzertvereins begeistert.

Angela Hewitt eröffnete die Soiree mit der Aria variata alla maniera italiana in a-Moll, BWV 989. Von Anfang an faszinierte ihr bestechend klarer Anschlag. Er legte ihre Analyse des Werks, der einzelnen Sätze, der Themen und ihrer Verarbeitung offen: durchsichtig, farbig, voller Gefühl.

Bei den zehn Veränderungen des Themas vom zweistimmigen Satz über Figuralvariationen bis hin zu kontrapunktischen Momenten schuf sie mit ungewöhnlich feiner Anschlagskultur, mit Agogik und Rubatos immer neue Spannungsmomente.

Der Auftakt der englischen Suite d-Moll Nr. 6, BWV 811, hatte mit seinen grüblerischen Akkordbrechungen bei Angela Hewitt fast schon romantische Züge. Bei der komplex gestalteten Allemande gelang Hewitt das Kunststück, dass sie nicht nur schlank und rank wirkte, sondern sich die Melodik leise ins Ohr schlich.

Die Courante kam mit tänzerischer Leichtigkeit daher. Hewitt leuchtete zart die Akkorde der Sarabande aus. Mit Varianten des Anschlags sowie von Tempo und Dynamik wurde sie zu einer Zauberin der Spannungsmomente. Beide Gavotten leuchteten in durchsichtiger Zweistimmigkeit. Die am Ende der Gigue gegenläufigen Themen meisterte sie mit Bravour.

Aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers hatte Angela Hewitt die sechs Präludien und Fugen BWV 860 bis 865 ausgewählt. In den Präludien faszinierten beidhändige Sechszehnteltriolen in Dreiklangsbrechungen, engmaschiges, dreistimmiges Gefüge, Sarabandenrhythmus, Melancholik, Dreierkombination gegensätzlicher Themen und rhythmisches Dreiklangsmotiv.

Bei den zwei- bis vierstimmigen Fugen waren die Themen, Motive und Motivsplitter samt Kontrapunkte stets präsent: ob in der Umkehrung oder in der Engführung, in Zwischenspielen als motivische Klammer, in Aufwärts- oder Abwärtssequenzen oder als „gesprächiges“ Thema mit auffälliger Pausenzäsur.

Immer wieder begeisterten Hewetts klare Strukturierung, ihr variabler Anschlag, ihre transparente Gestaltung bis in die feinsten Verästelungen, das Nachspüren des Tons oder Akkords aus dem Instrument, in ihrem Ohr und in ihrem Inneren. Bachs chromatische Fantasie und Fuge d-Moll, BWV 903, bildete den krönenden Abschluss.

In der Fantasie entzückten Angela Hewitts klare, perlende Tonläufe ebenso wie gebrochene Dreiklänge, Septimakkorde voller Spannkraft und Chromatiken voller Farbpracht.

Bei der Fuge erstaunte, wie leicht Hewett das Motiv durch die linke und rechte Hand laufen ließ, wie es sich verdichtete, wie es sich in Akkorde einschmolz – und dabei immer präsent war. Ihr gelang es, mathematische Analyse mit Sinnlichkeit zu verbinden: vom Kopf zum Herz, vom Intellekt zum Gefühl – jeweils als Einheit.

Mit prasselndem Applaus, kräftigem Fußgetrampel und einzelnen Bravos feierten die 640 Besucher die Pianistin. Sie gab bereitwillig zwei Zugaben: Die Sopranarie „Schafe können sicher weiden“ aus der Jagdkantate 208 „Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd“ und einem Satz aus der Partita Nr. 4, D-Dur, BWV 828. Der Marburger Konzertverein sollte Angela Hewitt bald wieder einladen – solang sie noch bezahlbar ist.