Chabrier on Hyperion

2006-06-02 / Der Zürcher Oberländer / Walter Labhart

Der gute Ton

Chabriers Klaviermusik
Walter Labhart

Als Bindeglied zwischen Spätromantik und Impressionismus verkörpert der aus der Auvergne stammende Alexis Emmanuel Chabrier (1841-1894) in der französischen Musik eine originelle Ausnahmeerscheinung. Sein eigentümlicher, oft erdenschwerer Witz lässt sich weder mit demjenigen von Erik Satie noch von Francis Poulenc vergleichen, die beide ein Stück weit seine Tradition von Humor und Ironie fortsetzten. Die klassizistische Eleganz seiner Klaviermusik gemahnt an Camille Saint-Saëns, der melodische Charme seiner Musik ist demjenigen der Komponistin Cécile Chaminade verwandt.

Chabrier studierte auf Wunsch seines Vaters Jura und nahm als niederer Beamter in Paris eine Stelle im Innenministerium an. Erst nachdem er 1879 als glühender Wagnerianer in München «Tristan und Isolde» gehört hatte, gab er seinen erlernten Beruf auf, um sich der Musik zuzuwenden. Als einer der wenigen grossen französischen Komponisten interessierte er sich stark für die Malerei seiner Zeitgenossen und nahm mit Manet, Monet, Sisley, Renoir und Cézanne persönliche Kontakte auf und begann ihre Gemälde zu sammeln.

Es ist daher kein Zufall, dass eines seiner beiden pianistischen Hauptwerke den Titel «Dix Pièces pittoresques» trägt. Die 1881 erschienenen zehn Stücke veranlassten bei ihrer Uraufführung den Komponisten César Franck zur Bemerkung: «Wir haben gerade etwas Aussergewöhnliches gehört. Diese Musik verbindet unsere Zeit mit der Couperins und Rameaus.» In der Tat orientieren sich Stücke wie der geistvoll archaisierende Tourbillon, die recht derbe «Danse villageoise» und das von Maurice Ravel 1918 für die «Ballets Russes» orchestrierte «Menuet pompeux» an der Cembalomusik altfranzösischer Meister. Ravels Suite «Le Tombeau de Couperin» (1914-1917) knüpft an jene wegweisenden Stücke von Chabrier an, dem der Komponist des «Boléro» schon mit seinem «Menuet antique» und mit der Miniatur «A la Manière de Chabrier» ein pianistisches Denkmal gesetzt hatte.

Die «Dix Pièces pittoresques» enthalten nebst barockisierenden Stücken malerische Stimmungsbilder, die «Paysage» etwa, das träumerische Andantino «Sous Bois», die wenig orientalisch klingende Szene «Mauresque» und als besonderes Bijou eine fein ziselierte, äusserst klangschöne «Idylle» mit melancholischem Unterton. Den heiteren Schluss bildet «Scherzo-Valse», ein Bravourstück, das kein Geringerer als Artur Rubinstein gerne als Zugabe spielte.

Das zweite Hauptwerk von Chabriers Klaviersolomusik, die sehr anspruchsvolle «Bourrée fantasque» von 1891, zeichnet sich durch straffe Tanzrhythmik und effektvolle Staccati aus. Die für ihr grossartiges Bach-Spiel bekannte Pianistin Angela Hewitt überrascht einmal mehr, scheint sie doch auch in dieser spezifisch französischen Klangwelt zu Hause zu sein. Wie sie die bereits erwähnten Stücke und die Marie Jaëll gewidmete «Aubade», die leicht morbide «Habanera» oder das mit Wagner-Harmonien gesättigte «Feuillet d’Album» auf einem wunderbar farbenreichen Fazioli-Flügel darbietet, beeindruckt der rhythmischen Intensität und kristallinen Klarheit wegen tief.

Emmanuel Chabrier: Dix Pièces pittoresques. Angela Hewitt, Klavier. Hyperion SACDA 67515, 38 Franken.