2009-06-10 / Fono Forum / Ingo Harden
Sterne des Monats
(Pick of the Month)
Lohnendes Remake
Knapp 60 Mal spielte Angela Hewitt sich 2007/08 mit den beiden Bänden des „Wohltemperierten Klavier“ um die Welt. Verständlich, dass sie die Erfahrungen, die ihr in dieser Zeit intensiver Auseinandersetzung neu zuwuchsen, auf CD festhalten lassen wollte, auch wenn seit ihrer ersten Aufnahme kaum zehn Jahre vergangen waren.
Entstanden ist in diesem zweiten Anlauf eine Ausnahmeinterpretation, die ih re Vorgängerin deutlich hinter sich lässt. Was sie charakterisiert, ist – neben überlegener, so gut wie perfekter manueller Realisierung – eine subtile, bis in alle Einzelheiten durchdachte und künstlerisch geschlossene Formung, bei der jedes der 48 Satzpaare als Einzelwerk und ebenso als Teil des Ganzen überzeugt. Angela Hewitt erreicht dies durch eine bemerkenswert freie Agogik, die aber dank der vorbildlich klaren Polyphonie ihrer Spiel weise nie „romantisch“ oder willkürlich, sondern primär strukturerhellend wirkt. Auch sie stellt sich damit entschieden gegen die alte, angeblich barocke Motorik, deren „Geradlinigkeit“ sie, so ihr Beiheft kommentar, einfach nur noch „zum Schreien“ findet.
Über manches, etwa die „ersterbenden“ Satzenden, werden Heerscharen von Klavierlehrerinnen aus aller Herren Länder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Und gelegentlich scheint mir ihre Legato-Milde fast zu wohltemperiert und auf zu lange Strecken ausgedehnt. Doch wiegt dies leicht gegenüber dem Gewicht einer Interpretation, an der nichts mit der heute so beliebten heißen Nadel gestrickt ist.
Durch die Sorgfalt der Produktion (in der Berliner Jesus-Christus-Kirche mit Hewitts eigenem Fazioli) und die noble Klangtransparenz kommen die Intentio nen der kanadischen Bach-Spezialistin ungeschmälert zur Geltung.