Recital in Stuttgart

2006-09-11 / Esslinger Zeitung / Dietholf Zerweck

Mozart-Metamorphosen

Stuttgart – Die Taiwanesin Ya-Fei Chuang war erkrankt, und so übernahm Martin Stadtfeld den Löwenanteil der Konzerte im Weißen Saal des Neuen Schlosses. Dazwischen schritt Angela Hewitt aufs Podium und musizierte Mozart in klassischer Vollendung.

Übrigens ist es auch viell leichter eine sache geschwind ( . . .) zu spiellen. Man kann in Pasagen etliche Noten in stich lassen, ohne daß es jemand merckt; ist es aber schön?” So fragt Mozart als Pianist und Interpret seiner eigenen Klavierkompositionen und empfiehlt, “das stück im rechten tempo wie es seyn soll zu spiellen”. Stadtfelds Einstieg bei der C-Dur-Sonate KV 330 war in der Tat verhudelt, die Koloraturen verschliffen. Das änderte sich im Mittelteil, wo die kreative Phantasie Mozarts in winzigen Rubati aufschien. Den Mittelsatz gab Stadtfeld als schweren, unnötig pathetischen Kontrast, das Allegretto in beschleunigter Spieldosenmechanik. Ein völlig anderes Bild bot sich in der B-Dur-Sonate KV 570 aus dem Jahr 1789. Hier verband sich flüssiges Spiel mit thematischer Prägnanz, das Adagio mit seinen Hornmotiven war klanglich delikat ausbalanciert. Kontrapunktisch meisterhaft durchgearbeitet war der Kopfsatz von Mozarts a-Moll-Sonate KV 310, deren tragische Grundstimmung auch in den Sechzehntel-Modulationen des “Andante cantabile con espressione” überzeugend dargestellt wurde. Kaum verständlich, wie Stadtfeld den im Tempo überreizten Presto-Satz danach bloß als blendend virtuoses Kabinettstück exekutierte. Derartige Brillanz war seiner Zugabe von Bach-Busonis Choral-Transkription von “Nun freut euch leiben Christen gmein” angemessener. Wo bei Martin Stadtfeld (auf dem Steinway) gelegentlich gläserne Oberfläche, ist bei Angela Hewitts Mozart-Interpretationen meist atmendes Einlassen auf den Duktus und die Sprache der Musik. Wesentlich wärmer (auf einem Fazioli) im Klang, voller in den Bassregistern, führte sie Mozarts Adagio h-Moll KV 540 in tiefere Dimensionen, bevor sie seine D-Dur-Sonate KV 576 in jeder Nuance überzeugend darbot.

Nie herrscht bei der kanadischen Pianistin der Eindruck von Ungeduld, vielmehr eine geistreiche Lebendigkeit und Stimmigkeit der Proportionen. Jede minutiöse Tempo-Veränderung wird mit Bedacht und Bedeutung eingesetzt, Mozarts erfindungsreiche Metamorphosen werden anschaulich vermittelt. Hewitts Spiel mit Klangfarben, Anschlagsnuancen, Akzenten und Arpeggien war hinreißend in der Wiedergabe der F-Dur-Sonate KV 332, wo Mozarts Improvisationskunst im Finalsatz greifbar vor Ohren geführt wurde. Mit der zugegebenen Fantasie d-Moll tauchte Hewitt noch einmal tief ein in das Mysterium Mozart: ein polares Spiel menschlicher Emotionen, das in höherer Naivität ausklingt.”